Amtsgericht: BVG-Kontrolleure haben Vorwürfe gegen Journalisten Anatol Wiecki frei erfunden

Mitarbeiter eines von der Berliner Verkehrsgesellschaft beauftragten Sicherheitsunternehmens sollten im August 2003 die Fahrscheine von BVG-Fahrgästen kontrollieren. Doch stattdessen attackierten sie den Fernsehjournalisten Anatol Wiecki, der zufällig mit einer Fernsehkamera am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin vorbeikam und eine zunächst komisch anmutende Kontrolle filmen wollte. Eine in der U2 ertappte Schwarzfahrerin, wollte sich nämlich aus der Affäre ziehen, indem sie versuchte Spanisch auf VHS-Niveau zu sprechen, um als ahnungslose Touristin durchzugehen.

Doch ihr Pech war, dass einer der Kontrolleure ursprünglich aus Kolumbien kam und tatsächlich fließend in ihrer vermeintlichen Muttersprache mit ihr sprechen wollte. Dann verstand sie tatsächlich nur noch Spanisch. Und vorbei war es mit ihrem kreativen Betrugsversuch. Diese Szene wirkte sehr witzig, so dass der Reporter seine Kamera auf das Geschehen hielt. Normalerweise hätte dies eine schöne Story mit der Headline „Berlinerin wollte BVG-Kontrolletis austricksen – doch diese waren pfiffiger“ sehr positiv für das Dienstleistungsunternehmen BVG ausgehen können. Aber stattdessen wandten sich die privaten Fahrscheinkontrolleure plötzlich dem Reporter zu.

Sie schrien ihn in bester Stasi-Manier „Kamera aus“ an und schleiften ihn über den Bahnsteig der Station Rosa-Luxemburg-Platz in Mitte. Zum Glück hatte Anatol Wiecki ein Mobiltelefon dabei und schaffte es den Notruf zu wählen. Die Hauptstadtpolizei war schnell vor Ort und kassierte die Schläger eines von der BVG beauftragten Subunternehmens ein. In der Folge kam es zu einer öffentlichen Debatte über Übergriffe durch private Fahrschein-Kontrolleure. Einige Tage später vermeldeten die Berliner Medien, jene Kontrolleure seien bereits vom Dienst suspendiert. Aber da sie Beschuldigte in einem Strafverfahren waren, versuchten sie den Spieß umzudrehen. Die Prellungen und Hämatome, die den Mann vom Fernsehen zugefügt worden sind, sollen alle im Rahmen von erlaubter Notwehr erfolgt sein. Wiecki, der in jener Nacht im August 2003 noch nicht einmal in der U-Bahn gewesen war und im übrigen den Polizisten vor Ort eine Monatskarte vorweisen konnte, mutierte in der polizeilichen Vernehmung durch privaten BVG-Ticketprüfer sogar zum angeblichen „Schwarzfahrer“.

Der damals eher zierlich wirkende Mann habe die bulligen Männer, die vor Gericht so wirkten, als kämen sie gerade von einem Training für Kampfsportler, mit der Faust attackiert, sagten sie bei ihrer Vernehmung als Beschuldigte bei der Polizei Berlin aus. Indes hatten zwei richtige Angestellte der Berliner Verkehrsgesellschaft etwas anderes gesehen. Vor Gericht sagten sie am Montag aus, die Ticketprüfer hätten Wiecki völlig grundlos „wie eine tote Sau“ über den Bahnsteig geschleift. Und dies alles nur deshalb, weil der Reporter Filmaufnahmen machte.

„Komm’se schnell, komm’se schnell. Hier filmt einer“, äußerte ein damals in Bus und Bahn eingesetzter privater Sicherheitsmitarbeiter gegenüber der Leitstelle der Polizei Berlin, die er über den Notruf 110 anrief. Wenn Journalisten in der deutschen Hauptstadt 13 Jahre nach der deutsch-deutschen Wiedervereinigung Filmaufnahmen machen, muss dies höchst verdächtig und ein Fall für den Polizeinotruf sein, so glaubte er wohl. Indes war in jener Nacht durch den Fahrausweis-Prüfer während des Notrufs noch durch seine Kollegen gegenüber den später am Tatort Rosa-Luxemburg-Platz eintreffenden Polizeibeamten von einem Faustschlag, den der Reporter angeblich ausgeteilt haben soll, noch keine Rede. Tatsächlich erklärte sich ihre Gewalttätigkeit dadurch, weil die BVG-Kontrolleure keine filmenden Zeugen wollten.

Diese Schutzbehauptung erfolgte erst in der späteren Vernehmung einige Wochen später, als den Kontrolleuren eröffnet wurde, sie seien der Nötigung, Körperverletzung und Freiheitsberaubung beschuldigt. Danach wurde aus dem Geschädigten Wiecki plötzlich ein Beschuldigter. Und weil gleich alle privaten Security-Mitarbeiter zu einer Falschaussage bei der Polizei bereit waren und den Journalisten fälschlicherweise der Körperverletzung beschuldigten, machte es sich der verantwortliche Staatsanwalt einfach und klagte den Reporter an, obwohl schon aufgrund der aus der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft ersichtlichen Faktenlage das Lügengebäude der BVG-Kontrolletis hätte zusammenbrechen müssen.

So war nicht nicht nur von einem angeblichen Faustschlag die Rede. Die BVG-Ticketprüfer gaben als Zeugen bei der Polizei an, sie hätten eingreifen müssen, weil Wiecki mit grellem Scheinwerferlicht Aufnahmen in der U-Bahn-Station gemacht habe und damit die Fahrer der einfahrenden U-Bahnen der Linie U2 geblendet habe. Tatsächlich verfügte die eingesetzte Kamera, die vom Fernsehsender stammte, über gar kein eigenes Licht. Auf den Filmaufnahmen ist ebenfalls kein zusätzliches Licht erkennbar. All diese Bedenken, die Wieckis damaliger Strafverteidiger Hans-Christian Ströbele zu Bedenken gab, nutzte nichts. Das Strafverfahren wurde eröffnet.

An mehreren Verhandlungsterminen erschienen die als Zeugen geladenen Kontrolleure jedoch nicht. Erst als mit Ordnungsgeldern gedroht und sogenannte Zeugen vorgeführt werden sollten, kam vor Gericht heraus, dass es einen Faustschlag durch Anatol Wiecki nie gegeben hatte. Bei der Polizei muss man als Beschuldigter nicht unbedingt bei der Wahrheit bleiben. Doch bei Gericht waren sie nicht mehr Beschuldigte, sondern nur noch angebliche Zeugen. Doch am Montag waren sie dann doch nicht mehr zu einer Falschaussage und damit einer Straftat bereit.

Selbst der Vertreter der Staatsanwaltschaft Berlin ging am Ende der Beweisaufnahme von einer erfundenen Körperverletzung aus. Der Richter am Amtsgericht Tiergarten merkte jedoch an, selbst wenn es den erfundenen Faustschlag durch den Fernsehjournalisten gegeben haben sollte, so wäre er im konkreten Fall durch Notwehr berechtigt gewesen. Denn die Kontrolleure der Berliner Verkehrsgesellschaft hatten kein Recht Wiecki an der Ausübung der Pressefreiheit zu behindern und ihn tätlich anzugreifen.

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